Gesine Fuchs

Mit Recht zur Lohngleichheit? (2008/10)

Mit Recht zur Lohngleichheit? Juristische und diskursive Mobilisierung durch soziale Bewegungen in Europa, 1996-2006
Das vergleichende Forschungsprojekt untersuchte die juristische und diskursive Mobilisierung des Rechts durch soziale Bewegungen in Europa. Unter welchen Umständen unterstützen Bewegungen und Gewerkschaften Lohngleichheitsklagen (juristische Mobilisierung) und wann verweisen sie in ihren Äußerungen auf das Recht, um Lohngleichheit zu fordern (diskursive Mobilisierung)? Wie passen sie das Recht in ihr strategisches Repertoire ein? Je günstiger und stärker sog. rechtliche und diskursive Gelegenheitsstrukturen sind, desto eher wird das Recht eingesetzt. Das Projekt untersucht die Situation in Deutschland, Polen, Frankreich und der Schweiz, wo die juristischen und diskursiven Gelegenheitsstrukturen in jeweils unterschiedlicher Stärke auftreten.

Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) hat das Projekt unterstützt.
Zusammenfassung der Ergebnisse bei FORS
Projektpublikationen hier.

Worum geht es im Einzelnen?

Die Idee der Gleichheit kann als eine Leitnorm der Moderne aufgefasst werden. Diese Norm und die Wirklichkeit fallen jedoch sehr oft auseinander. Dabei bedarf Gleichheit als Prinzip demokratischer Rechtsstaatlichkeit immer wieder einer prozeduralen und diskursiven Festigung. Dabei spielen soziale Bewegungen zunehmend eine wichtige Rolle. Ob sie durch Recht sozialen Wandel und soziale Gerechtigkeit erreichen können, oder ob diese Strategie nur ein „hohles Versprechen“ darstellt, ist in der Forschung umstritten, gerade auch im Hinblick auf gerechte Geschlechterverhältnisse. Soziale Bewegungen haben ihre Anliegen in den letzten Jahren verstärkt als Rechtsprobleme definiert und mit Bezug auf das Recht legitimiert. Dies gilt besonders für Grundrechte wie Gleichheit. Forschungen haben für die USA gezeigt, dass Lohngleichheitsprozesse in der amerikanischen „Culture of Rights“ eine starke Mobilisierungsfunktion in sozialen Bewegungen haben. In Europa ist Gleichheit in einer Vielzahl Gesetzen kodifiziert und konkretisiert, doch liegen kaum Ergebnisse darüber vor, welche Rolle die Forderung nach Rechtsgleichheit für die Mobilisierung hiesiger Bewegungen spielt. Im vorliegenden Projekt wird die Mobilisierung für Lohngleichheit von Frau und Mann herausgegriffen, da hier materielle Umverteilung und nicht nur rhetorische Zugeständnisse gefordert sind. Zudem sind die Unterschiede in Europa gross (bis zu einem Viertel).

Ziel der Studie ist es, die Mobilisierung des Rechts (im Sinne von legal mobilization) durch soziale Bewegungsorganisationen und Gewerkschaften zu analysieren und zu bewerten. Diese Mobilisierung kann juristisch sein, d. h. Lohngleichheitsprozesse werden geführt. Eine diskursive Mobilisierung bedeutet, dass Forderungen nach Lohngleichheit mit Bezug auf nationales oder europäisches Recht erhoben werden. Zwei Faktorenbündel beeinflussen die Rechtsmobilisierung: die rechtlichen Gelegenheiten und die diskursiven Gelegenheiten (legal opportunity structure und discursive opportunity structure). Rechtliche Gelegenheiten sind die juristischen Rahmenbedingungen wie Gesetze, Beschwerdeverfahren und Rechtsprechung. Diskursive Gelegenheiten sind jene kulturellen und institutionellen Faktoren innerhalb der politischen Gelegenheitsstruktur, die in einer Gesellschaft den Diskurs organisieren. Dies sind Werte und Traditionen zu Grundrechten wie sozialer Gerechtigkeit oder Gleichheit der Geschlechter, aber auch Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen. Die zentrale Hypothese lautet: Je günstiger diese beiden Gelegenheitsstrukturen ausgebildet sind, desto stärker nutzen soziale Bewegungen das Recht als mobilisierendes Instrument für die Forderung nach Lohngleichheit.

Die Arbeit vergleicht vier europäische civil-law-Länder, nämlich die Schweiz, Deutschland, Frankreich und Polen, in denen die rechtlichen und diskursiven Gelegenheitsstrukturen in jeweils unterschiedlicher Kombination anzutreffen sind. Mit der Schweiz kann ein Land ohne unmittelbaren EU-Einfluss untersucht werden. Die Untersuchung beginnt 1996 (Gleichstellungsgesetz in der Schweiz; 1997 Amsterdamer Vertrag) und endet 2006 (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland). Zuerst analysiert das Projekt die Gelegenheitsstrukturen in den Ländern genauer. Zweitens werden Lohngleichheitsprozesse im Überblick beschrieben und eine Auswahl vertieft analysiert. Drittens wird die diskursive Mobilisierung anhand des Mediendiskurses, der Äusserungen von ExpertInnen in Interviews sowie in Quellentexten von Bewegungsorganisationen in qualitativen Inhaltsanalysen untersucht.

Neben einer vergleichenden Beschreibung und Analyse konkreter Prozesse und Argumentationsmuster von Bewegungsorganisationen für Lohngleichheit entwickelt das Projekt ein genaueres Bild, welche Rolle die Gesetze im Verhältnis zu kulturellen Werten, Traditionen und Eigenheiten des politischen Systems spielen. Damit kann es Antworten geben, ob Gerichtsprozesse und die Nutzung des Rechts im politischen Diskurs eine produktive Strategie für soziale Bewegungen beim Thema Lohngleichheit sind. Es zeigt, wie sich diese Mobilisierung in das gesamte Aktionsrepertoire von Bewegungsorganisationen einpasst. Dabei leistet es auch einen Beitrag zur Frage, unter welchen Umständen Recht Motor oder Bremse beim Wandel der Geschlechterverhältnisse ist. Das Projekt trägt damit zur Diskussion über Chancen und Grenzen des sozialen Wandels durch die Mobilisierung des Rechts bei. Aus demokratietheoretischer Perspektive kann das Projekt Hinweise geben, wie demokratische Werte politisch und sozial verankert werden können und wie sie somit zu aktiver Staatsbürgerschaft und der Festigung des Rechtsstaats beitragen.

Projektpublikationen

 

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Kurzzusammenfassung der Ergebnisse

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